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  • Stefan Bell: "...geschafft, wieder für etwas zu stehen"

Profis 28.08.2024 - 17:30 Uhr

Bell: Anknüpfen & draufpacken

Innenverteidiger & Routinier im Interview - "Vor allem haben wir es geschafft, wieder für etwas zu stehen"

Genau 262 Tage lagen zwischen dem letzten Bundesliga-Einsatz Stefan Bells im vergangenen Dezember und seinem Comeback im DFB-Pokal vor knapp zwei Wochen beim SV Wehen Wiesbaden. Eine Herzmuskelentzündung hatte den Routinier rund vier Monate lang außer Gefecht gesetzt. Eine Phase, in der der Profi jegliche körperliche Belastung meiden und sich auf wenige Spaziergänge beschränken musste. Zeit, die er für die Familie nutzte und sich in Geduld übte. Zweifel seien in ihm zu keinem Zeitpunkt aufgekommen trotz auslaufenden Vertrags und der Ungewissheit, wann Sport wieder möglich sein würde. "Ich habe die Situation, an der ich ohnehin nichts ändern konnte, als Herausforderung und Anreiz gesehen", erklärt er rückblickend. Nachdem er in den letzten Wochen der Vorsaison bereits wieder mit den Kollegen auf dem Platz stehen und an seiner Fitness arbeiten konnte, folgte in der Sommerpause die Vertragsverlängerung mit dem Rekord-Bundesligaspieler des FSV. Am vergangenen Wochenende beim Bundesliga-Auftakt gegen Union Berlin feierte er seinen 267. Einsatz im Oberhaus. Geht es nach dem Defensiv-Spezialisten, wird er seine Führung in dieser Wertung künftig weiter ausbauen.

Im Interview vor dem Duell mit dem VfB Stuttgart (Samstag 15.30 Uhr) spricht der 33-Jährige unter anderem über seine unverhoffte Einsatzzeit zu Saisonbeginn, die Wertschätzung der Fans, aber auch über die Herausforderungen, die die 05ER zu meistern haben.

Stefan, wie hast du die Pflichtspiel-Einsätze körperlich weggesteckt? 

Bell: "Es war wirklich gut, die Minuten gar kein Problem, obwohl es sicherlich deutlich mehr waren, als ich zuvor erwartet habe. Ich bin da voll im Soll und habe Lust auf mehr. Am Wochenende kam natürlich die Hitze in der MEWA ARENA dazu, die es speziell gemacht hat. Was sicher noch ein bisschen fehlt, ist die körperliche Spielpraxis  - beispielsweise Sprints, schnelle Gegenbewegungen, Handlungsschnelligkeit unter Druck usw. - aber das kommt mit der Zeit."

Wie zufrieden warst du mit deiner eigenen Leistung und dem Auftritt der Mannschaft?

Bell: "Ich hatte den Eindruck, dass ich gut reingekommen bin trotz des ungewöhnlichen Zeitpunkts der Einwechslung. Ich hatte gleich Aktionen, die mir Sicherheit gegeben haben. Wir standen eigentlich über weite Strecken sehr gut und haben aus dem Spiel nicht viel zugelassen. Insgesamt war es ordentlich, nicht mehr, nicht weniger. Gefehlt haben uns, auch aufgrund von Unions Spielweise mit vielen langen Bällen, natürlich die hohen Eroberungen. Im Ballbesitz haben wir Luft nach oben, müssen uns mehr zutrauen und die Angriffe besser vorbereiten. Das heißt, nicht zu früh lang zu spielen beziehungsweise die Tiefe zu suchen, sondern den Gegner zu Reaktionen zu provozieren, die Räume öffnen. Da gibt es sicher noch mehr Variationen. Es war aber ein typisches Spiel gegen sie, zumal man zu Saisonbeginn auch auf Sicherheit aus ist und nicht sofort das ganz große Risiko sucht."

Hast du in der ersten Jahreshälfte Zweifel gehabt, zurückzukommen?

Bell: "Ich habe die Situation als Herausforderung und Anreiz gesehen. Es war natürlich sehr speziell, weil ich nicht viel tun konnte vier Monate lang. Ich war einfach gespannt, wie lange es dauern würde, danach wieder auf Bundesliga-Niveau zu kommen. Man kann letztendlich nur an sich und seinen Themen arbeiten und dafür sorgen, bereit zu sein, wenn man gebraucht wird. Darum ging es, weil mir klar war, dass ich nicht sofort wieder als Stammspieler auf dem Platz stehen würde. Ich war darauf vorbereitet, geduldig sein zu müssen."

In Wiesbaden haben dich die Fans nach dem Spiel zur Humba gebeten und dir letzten Samstag in der Arena zum 33. Geburtstag gratuliert. Was bedeutet dir die entgegengebrachte Wertschätzung?

Bell: "Es freut mich, dass sie honorieren, dass ich mich wieder reingekämpft habe. Das sind schon besondere Momente, von denen ich hier zum Glück bereits viele erleben durfte. Spieler, die lange dabei sind und eine intensive Verbindung zum Verein haben, sind aus meiner Sicht unheimlich wichtig. Auch das zeichnet Mainz 05 aus."

Wie viele Geburtstage als Profi sollen es noch werden?

Bell: "(lacht) Gute Frage. Jedes Jahr könnte das letzte Mal sein, aber ich lasse das auf mich zukommen. Es wird darum gehen, wie die Saison läuft, wie es meinem Körper geht. Im Frühling geht es dann irgendwann darum, ob beide Seiten noch Lust aufeinander haben. Ich bin lange genug hier und dahingehend sehr entspannt. Die Situation ist nicht neu für mich und ich werde auch nicht jünger. Lust, weiter zu spielen verspüre ich aber Stand jetzt zu 100 Prozent.

Humba nach dem Pokal-Sieg in Wiesbaden: Nach neunmonatiger Pflichtspiel-Pause würdigten die 05-Fans auf der anderen Rheinseite das Comeback des Eigengewächses.

Was verändert sich in der Zusammenarbeit mit Beginn einer neuen Saison unter völlig anderen Vorzeichen als im Frühling mitten im Abstiegskampf? 

Bell: "Natürlich haben wir in den letzten Wochen viel an Themen weitergearbeitet, die uns auch in der Rückrunde ausgezeichnet haben - Intensität, Power, Energie in der Arbeit gegen den Ball bleiben Grundtugenden. Aber die Spiele haben jetzt natürlich nicht von Anfang an diesen Charakter des Überlebenskampfs. Wichtig ist, sich als Mannschaft Varianten zu erarbeiten. Die Gegner stellen sich auf uns ein und vor neue Aufgaben. Vielleicht überlassen sie uns häufiger den Ball und stehen tiefer. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Die Kunst ist, die Basics nicht zu vernachlässigen und dennoch immer in allen Bereichen einen Schritt nach vorne zu machen. Da hilft es, eingespielt zu sein, um Automatismen zu entwickeln. In dieser Phase befinden wir uns noch, zumal das Transferfenster erst Ende der Woche schließt."

Wie erlebst du generell die Atmosphäre rund um den Verein? 

Bell: "Da sehen auch wir als Mannschaft eine sehr positive Entwicklung. Schon in Wiesbaden war es besonders, man spürt die Vorfreude aller Fans. Die letzte Rückrunde hat etwas entfacht. Das hängt sicher auch mit der an den Tag gelegten Intensität und dem Endspurt zum Klassenerhalt zusammen. Vor allem haben wir es geschafft, wieder für etwas zu stehen. Die Herausforderung wird sein, daran anzuknüpfen und überall etwas draufzupacken. Deswegen sollen wir jetzt aber keine Ballbesitzmannschaft werden."

Dein ehemaliger Mitspieler Niko Bungert ist seit einigen Wochen neuer Sportdirektor. Ist seine Entwicklung im Verein eine Inspiration?

Bell: "Es macht Mainz 05 aus, dass es in allen Bereichen Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Die Durchlässigkeit ist hoch. Niko hat sich viel angeschaut in den letzten Jahren, zunächst als Trainee. Dadurch konnte er vollumfängliche Einblick hinter die Kulissen gewinnen und hat jetzt einen schönen Posten bekommen. Es ist schön, dass hier Wert auf solche Entwicklungen gelegt wird. Für mich sind diese Themen aber noch weit weg, weil ich mich nur auf meinen Job als Spieler konzentrieren möchte."

Am Wochenende geht es zum Vizemeister nach Stuttgart. Was erwartet uns dort?

Bell: "Sie haben so ein bisschen den Fluch der starken letzten Saison gespürt. Viele Spieler haben sich sehr gut entwickelt und wurden interessant für andere Klubs. Die Mannschaft muss sich wieder neu finden. Klar ist, dass sie anders spielen werden als Union. Sie definieren sich über kontrollierten Spielaufbau und Ballbesitz. Das bedeutet, dass wir wieder viel mehr im Pressing gefordert sein werden. Es wird ums Anlaufen gehen und darum, Pässe in den Halbräumen zu verteidigen. Wir freuen uns auf das Spiel in einer sicherlich großartigen Atmosphäre."