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Profis 23.04.2023 - 14:00 Uhr

Svensson: "Zum richtigen Zeitpunkt die Chancen genutzt"

Nach dem Coup gegen den FCB sprachen die 05ER von zwei verschiedenen Halbzeiten und gehen auch kritisch mit dem eigenen Auftritt um

Ludovic Ajorque traf gegen die Bayern im vierten Spiel in Serie.

Krasser hätte der Gegensatz nach dem 3:1-Sieg des 1. FSV Mainz 05 gegen den FC Bayern an diesem Samstagnachmittag gar nicht sein können: Auf der einen Seite die überschäumende Begeisterung von Spielern, Trainern, Betreuern und Anhang in einer geradezu explodierenden Atmosphäre in der ausverkauften MEWA ARENA nach einem Erfolg über einen Gegner, gegen den zu gewinnen niemals selbstverständlich sein wird. Auf der anderen Seite die hängenden Köpfe der Bayern-Spieler und die leeren Blicke der Verantwortlichen. Sinnbildlich dafür war Thomas Tuchel, der erstmals seit sechs Jahren wieder an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt war und nachdenklich die Ursachen zu erforschen versuchte, die dem FSV den dritten Bundesliga-Heimsieg gegen den FC Bayern in Serie und ob des Spielverlaufs einen ganz besonderen Coup ermöglicht hatten.

Innerhalb wenigen Minuten kippte die Partie

"Wieder mal sitze ich da und sage, ich habe es nicht kommen sehen", erklärte der ehemalige 05-Trainer, der bei den Bayern kürzlich die Nachfolge von Julian Nagelsmann angetreten hat, in der Pressekonferenz. "Ich fand nicht, dass es sich angebahnt hat. Bis zum Ausgleich habe ich nicht das Gefühl gehabt, dass eine besondere Energie im Stadion und auf dem Rasen entstehen könnte." Doch genau diese entstand durch die Treffer von Ludovic Ajorque, Leandro Barreiro und dem herrlichen Geburtstagstor von Aarón, die einen 0:1-Rückstand in einen Triumph verwandelten.

"Wir können offensichtlich nicht ohne individuelle Fehler spielen, ohne Konzentrationsmängel. Und geben innerhalb von zwölf oder 13 Minuten drei Tore weg. Damit ist die Geschichte schon erzählt", sagte der 49 Jahre alte Bayern-Coach niedergeschlagen. "Wir sehen aus wie eine Mannschaft, die schon 80 Saisonspiele gemacht hat, wirken ausgelaugt, können momentan nach Rückständen weder mental noch körperlich eine Reaktion zeigen. Die Punkte gehen weg wie Sand durch die Hände."

Kein Mitgefühl aber Verständnis

Tuchels ehemaliger Schüler und Spieler Bo Svensson wollte nicht von Mitgefühl reden, das er für seinen einstigen Lehrmeister empfinde. "Doch es ist keine einfache Situation für Thomas. Ich kann mich hineinversetzen, ein bisschen, ohne je so eine Mannschaft trainiert zu haben", sagte der 05-Trainer, den es nicht im Geringsten nervte, dass nach diesem erneuten Mainzer Erfolg über den Rekordmeister anschließend medial primär über die Schwächen und Nachlässigkeiten des großen Gegners geredet wurde.

"Wenn sie über 95 Minuten top sind, dann gewinnen sie. Sie waren es nicht, und wir haben zum richtigen Zeitpunkt unsere Chancen genutzt", erklärte der Däne. "Ich bin stolz auf die Mannschaft, die so zurückgekommen ist. Stolz auf die Jungs, die reingekommen sind, die enttäuscht waren, nicht von Beginn an zu spielen und die uns dann besser gemacht haben.“

23.04.2023

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"Mehr Glaube" nach der Pause

Der Stolz auf sein Team änderte aber nichts daran, dass Svensson die Vorstellung seiner Mannschaft zunächst einmal kritisch analysierte. "So komisch es sich anhört, wir haben gegen Bayern gewonnen, aber es war weit weg von unserem besten Spiel. Es war eine extrem schwierige erste Halbzeit für uns. Mit Glück sind wir nur mit 0:1 in die Pause gegangen. Mir hat es vor allen Dingen mit dem Ball überhaupt nicht gefallen. Zu viele technische Fehler, gar kein Mut. Das war wirklich schlecht. In der zweiten Halbzeit wurde es besser, aber bis zum 1:1 waren wir immer noch nur die zweitbeste Mannschaft. Nach dem Ausgleich hat man gemerkt, wie der Glaube und die Energie, das Momentum zu uns gekommen ist. Man hat jedenfalls gespürt, dass wir besser waren und machen auch die Tore." 

Das große 05-Problem vor der Pause sei gewesen, dass die hintere Kette sich nicht getraut habe, nach vorne zu verteidigen und der eigene Spielaufbau eine zu schlechte Qualität gehabt hatte. "Wenn du keine Entlastungsphasen hast, nur im Verteidigungsmodus bist, darfst du dich nicht wundern und musst froh sein, dass es nur 0:1 steht. Es lag auch daran, dass die Bayern stark waren in der ersten Halbzeit. Wir sahen eher aus wie eine verunsicherte Mannschaft. Mehr Glaube an uns selbst. Das war die Aufforderung von mir in der Pause."

Das bestätigte der Mainzer Sportdirektor Martin Schmidt. "Bo hat ganz klar angesprochen, dass wir mutiger sein müssen mit Ball, mehr Fußball spielen müssen. Wir waren neun Spiele ungeschlagen, da wollte er mehr Mut sehen. Er sagte: `Geht raus und zeigt das.`“ Und das funktionierte.

"Unglaubliche Geschichte"

Mit der Einwechslung von Aarón habe man gesehen, dass das Timing besser gepasst habe beim Anlaufen. "Wir hatten dann gute Balleroberungen", sagte Schmidt. Dennoch habe er erst nach dem "wunderschönen 3:1 von Aarón" geglaubt, dass der Sieg "in der Tasche" gewesen sei. "Da habe ich gedacht, drei machen die Bayern nicht mehr. Man hat es unseren Spielern auch angesehen, von Minute zu Minute. Wir sind nicht zurückgewichen, sondern dringeblieben. Da hat man gemerkt, dass es heute hier so ausgehen kann", so der Schweizer. "Dass man Bayern 3:0 schlägt in einer Halbzeit, das ist für Mainz 05 eine unglaubliche Geschichte. Und Svensson fügte hinzu: "Obwohl wir eine Zeit lang nicht so gut gespielt haben, haben wir dann doch unter Beweis gestellt, was wir für eine Mannschaft wir sind."

Es war eine knappe Viertelstunde, die der FSV benötigte, um das Spiel zu drehen. Beginnend damit, dass Andreas Hanche-Olsen einen zweiten Ball behauptete und vor den Fünfmeterraum flankte, Jae-sung Lee einen Volleyaufsetzer produzierte, der unter die Latte gesprungen wäre, hätte Torwart Yann Sommer nicht beide Hände nach oben gerissen und Ludovic Ajorque die abgewehrte Kugel mit der Stirn in den Winkel gewuchtete. Eine Viertelstunde, in der sich Karim Onisiwo links im Strafraum durchsetzte, den Ball mit der Pike in die Mitte brachte, wo Barreiro ihn aus vollem Lauf mitnahm und mit dem zweiten Kontakt über den linken Innenpfosten ins Tor schoss und in der Aarón ein Zuspiel von Hanche-Olsen mit einem satten Linksschuss aus halblinker Position in die lange Ecke des Gästetors jagte.

Sonderlob für Barreiro

Ausgangspunkt dieses dritten 05-Tor war Barreiro, der den Spielzug über Anton Stach einleitete, dessen Flanke die Münchener zu kurz abwehrten. Onisiwo holte sich den Ball, passte zum norwegischen Innenverteidiger, der bediente den Spanier. Der überragende Barreiro erhielt später ein Sonderlob von Svensson. "Leo war unser bester Spieler. Wenn man jemanden hervorheben möchte, dann ihn. Dass er immer Zweikämpfe führt und dem Gegner auf die Nerven geht. Dass er immer in die Box sprintet, wie beim 2:1. Eine besondere Leistung. Welch wichtiger Spieler er ist für uns, hat er heute nochmal unter Beweis gestellt."

Zum dritten Mal in Folge setzte sich der FSV in einem Bundesliga-Heimspiel gegen den FCB durch.

"Den Kurs weitergehen"

Schmidt wähnt die 05ER nach dem zehnten Spiel ohne Niederlage nun auf einem guten Kurs. "Den wollen wir natürlich weitergehen. Zehn Spiele ungeschlagen, das geht ein bisschen unter nach einem Bayern-Sieg. Jetzt kommt Wolfsburg, das ist die nächste große Hürde. Dann Frankfurt. Wir haben sehr viel in der eigenen Hand. Wir haben uns heute nochmal eine Steilvorlage geschaffen“, sagte der Sportdirektor.